Prof. Leisenberg zum EuGH-Urteil auf Tagesschau.de

Prof. Manfred Leisenberg heute auf tagesschau.de : „Löschen ist nicht gut für die eigene Authentizität und Glaubwürdigkeit.“

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und die Tageszeitung „taz“ waren als eine der ersten betroffen. Jeweils einer ihrer Artikel ist bei bestimmten Suchanfragen bei Google nicht mehr auffindbar. Beim „Spiegel“ erscheint ein Artikel aus dem Jahr 1995 nicht mehr in Googles Ergebnisliste, in dem es um einen Hamburger Geschäftsmann geht, der Verbindungen zu Scientology hat. Die „taz“ beklagte sich
öffentlich, dass ein Artikel über die rechtsextreme Szene in Hamburg und Sachsen nicht immer angezeigt wird. Beide Artikel erscheinen nicht in den Suchergebnissen, wenn man nach ihren Protagonisten sucht. Sie haben von Google das „Recht auf Vergessen“ verlangt.

Mehr als 70.000 Löschanträge hat Google seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bekommen, davon etwa 12.000 aus Deutschland. Der EuGH hatte im Mai geurteilt, dass Google Verweise zu Seiten mit sensiblen persönlichen Daten aus seinem europäischen Index nehmen muss. Das Gericht gab damit einem Spanier recht, der sich dagegen wehrte, dass Google bei der Eingabe
seines Namens noch heute einen Artikel über die Zwangsversteigerung seines Hauses vor 15 Jahren anzeigt.

Kriterien für die Löschung sind unklar

Links zu löschen, wenn diese ihr Recht auf Privatsphäre verletzen. Das beinhaltet Links, die auf „unangemessene, gegenstandslose, nicht mehr aktuelle oder überzogene“ Inhalte verweisen. Eine klare Richtlinie zur Entscheidungsfindung fehlt. „Was sind personenbezogene Daten? Wann liegen diese in der
Vergangenheit? Wann ist eine Person von nicht-öffentlichem Interesse? Dazu müssen Entscheidungen getroffen werden“, sagte Medienrechtler Tobias Gostomzyk von der Universität Dortmund gegenüber tagesschau.de.

Es ist an Google, die Rechtsprechung auszulegen. Google-Chefjustiziar David Drummond sagte in der „FAZ“, das Unternehmen überprüfe jeden Löschantrag individuell, meist mit begrenzten Informationen und ohne Kontext. Bislang scheint Google bei der Bearbeitung der Löschanträge großzügig zu sein. Das Unternehmen löscht offenbar im Zweifel die betreffenden Links aus den Suchergebnissen. Damit könne Google weitere Gerichtsverfahren vermeiden, erklärt Gostomzyk. „Dazu kann es kommen, wenn jemand etwas gelöscht haben möchte und Google dem nicht nachkommt. Damit steigen aber Kosten
und Aufwand.“

„Kampfansage“ an die Pressefreiheit

Nach Ansicht der britischen Zeitung Guardian hat Google zu Unrecht Links zu Artikeln gelöscht. Die Zeitung protestierte gegen die Löschung einer Artikelserie über einen schottischen Schiedsrichter und sprach von einer „Kampfansage“ an die Pressefreiheit. Der amerikanische Journalist und Google-Experte Jeff Jarvis nannte es bei Twitter einen „Schlag gegen die freie Rede“. Gostomzyk sieht einen Schwachpunkt des Urteils im fehlenden Bezug zu Drittinteressen: „Es ist ein
Problem, dass das Urteil die Rechtsbeziehung zwischen Betroffenen und Google thematisiert, aber nicht die Beziehung zu dem, der die Information bereit gestellt hat.“ Dieser Anbieter habe auch ein Interesse, aufgefunden zu werden. Wer in den Suchergebnissen des Gatekeepers Google nicht angezeigt wird, ist quasi nicht existent. Für aktuelle Presseberichterstattung sieht Gostomzyk keine
negativen Folgen des Urteils: „Die aktuelle Berichterstattung ist weder irrelevant, noch veraltet. Somit kann da auch nichts gelöscht werden.“ Um in Zukunft über Anträge besser entscheiden zu können, hat sich Google Hilfe von Experten geholt.
Ein unabhängiger Beirat soll Richtlinien entwickeln, unter welchen Umständen ein Link gelöscht wird.
Dem Gremium gehören acht bekannte Namen an, darunter die frühere Justizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger oder Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. Laut Google-Chefjustiziar Drummond soll der Beirat von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen Stellungnahmen einholen,
um Fragen zu untersuchen, die bei besonders schwierigen Löschanträgen aufkämen. Das könnten zum Beispiel Fälle mit strafrechtlichen Verurteilungen oder Missbrauchsopfern sein.

Löschen kann zu negativen Folgen führen

Suchergebnisse löschen zu lassen, kann jedoch zu ungewünschten Folgen führen. Portale wie „hiddenfromgoogle“ dokumentieren, welche Links von Google gelöscht wurden.

Social Media-Experte Prof. Manfred Leisenberg warnt:

„Dadurch kann es zu Berichterstattung darüber kommen, dass jemand
Suchergebnisse über sich löscht“, sagt er im Gespräch mit tagesschau.de. Leisenberg berät Kunden, wie sie ihren Ruf, ihr Ansehen im Netz beeinflussen können. Seinen Klienten empfiehlt er, das EuGHUrteil nicht zu benutzen, um die eigene Reputation zu verbessern: „Löschen ist nicht gut für die eigene Authentizität und Glaubwürdigkeit.“ Online-Reputation baue sich über einen lange Zeit auf.Einige Firmen bieten bereits an, korrekte Löschanträge anzubieten. Portale wie Hit Search oder forget.me nutzen die Unklarheit um das „Recht auf Vergessen“, um „irrelevante, nicht aktuelle oder
anderweitig unangemessene Inhalte“ zu finden und löschen zu lassen.

Doch Links werden nach dem EuGH-Urteil nur für europäische Suchmaschinen gelöscht.

Auf der amerikanischen Seite google.com können diese Inhalte beispielsweise weiterhin gefunden werden. Und
die ist auch aus Deutschland erreichbar.

Text von Alexander Drößler auf  Tagesschau.de

 

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