„Big Brother“ – Eine Vision wird zur Realität

Es ist womöglich der Skandal des Jahres 2013: Die National Security Agency (NSA) überwacht im großen Stil den Rest der Welt – Telefonate werden abgehört, Internetnutzer massiv beschattet. Edward Snowden, der Enthüller der sogenannten Spionage-Affäre, wird seitdem wie ein US-amerikanischer Staatsfeind verfolgt. Mittlerweile hat ihm Russland Asyl gewährt.

 

Eben dieses Szenario erinnert stark an den von George Orwell verfassten Science-Fiction-Roman „1984“. Dort wird eine ganze Bevölkerung totalitär regiert und rund um die Uhr überwacht. Dafür zuständig ist der so bezeichnete „Big Brother“ (Großer Bruder). Mithilfe von Überwachungskameras und in Fernsehgeräten integrierten Mikrofonen wird die Gesellschaft innerhalb des Romans beobachtet und abgehört. Privatsphäre ist in einem solchen System daher nicht existent. Ausgegebene Parolen sind in der Folge stets zu beachten – Wiedersetzung wird konsequent bestraft.

 

NSA – „Big Brother is watching you“

 

George Orwell veröffentlichte mit „1984“ einen visionären Roman, der heute Realität geworden zu sein scheint. Scheiterte die Vision des hochtechnologischen Überwachungsstaates zur Zeit der Veröffentlichung (1949) noch an den technischen Voraussetzungen sowie an der fehlenden weltweiten Vernetzung, sind diese Bedingungen mittlerweile erfüllt. Globale Abhöraktionen und Datensammlung aus dem Internet stellen für die US-amerikanischen Geheimdienste daher keine technologischen Hürden mehr dar und scheinen Routine geworden zu sein. Mit Hilfe von GPS, GSM, Kreditkarten und Co. wird jedes Individuum förmlich zu einem lebenden Bewegungsmelder.

 

Die NSA ist somit der real gewordene „Big Brother“ – ohne die Weltbevölkerung davon aktiv in Kenntnis zu setzen.  Denn der große Unterschied zwischen Realität und visionärem Roman ist die Kommunikation. Ohne Whistleblower Snowden hätte die Weltbevölkerung womöglich niemals erfahren, dass die NSA persönliche Daten aus Telefongesprächen und Internetnutzung abgreift – alles läuft im Geheimen ab. Die Charaktere aus dem Buch wissen dagegen, dass sie stetig vom Staat beschattet werden.

 

Der Begriff des „Großen Bruders“ ist dabei jedoch nicht ganz treffend. An und für sich suggeriert die Bezeichnung eine familiäre Geborgenheit. Ein großer Bruder ist immer für das jüngere Geschwisterkind da, passt auf es auf und schreitet bei Problemen selbstlos ein. Hilfe ist stets garantiert.

 

Die Kritik nimmt zu – Negativ-Preis für die NSA

 

Diese Geborgenheit und Hilfe von der NSA ist nicht unmittelbar ersichtlich. Vielmehr werden ganze Datensätze zum eigenen, bzw. zum Vorteil des obliegenden Staates genutzt. In der Folge wächst die Kritik an der US-amerikanischen Vorgehensweise.

 

Der „Große Bruder“ nutzt seine Macht regelrecht aus. In der Folge wird ihm aus Österreich der sogenannte „Big Brother-Award“ verliehen. Diese Trophäe ist jedoch kein Pokal anerkennender Art. Vielmehr ist der Award ein Negativ-Preis, der alljährlich an die Konzerne und Organisationen verliehen wird, die die Privatsphäre der Bevölkerung am meisten beeinträchtigen. Die NSA erhält den „Big Brother-Award“ in der Kategorie „Lebenslanges Ärgernis“ – keine Überraschung, wurden in diesem Jahr doch keine weiteren Organisationen nominiert.

 

Der Druck auf Obama und Co. steigt

 

Aber nicht nur die Geheimdienste stehen am Pranger, sondern auch Präsident Barack Obama. Hatte er vor seiner Wahl das drastische Handeln seines Vorgängers George W. Bush gegen die Terrorbekämpfung noch harsch kritisiert, verliert die US-Regierung bedingt durch die Spionage-Affäre erheblich an Glaubwürdigkeit und Sympathie. Auch wenn solche Maßnahmen mutmaßliche Fortschritte in der Bekämpfung von Gewalt und Terror mit sich bringen, ist damit noch lange keine weltweite Überwachung gerechtfertigt.

 

Die Vergangenheit zeigt sogar, dass Attentate trotz des „aufpassenden großen Bruders“ nicht verhindert werden können. Der Anschlag auf den Boston-Marathon im April 2013 ist das beste Beispiel dafür. Insgesamt wurden 264 Zuschauer und Läufer verletzt. Drei Menschen verloren dabei sogar ihr Leben. Die durchgängige Sicherheit der Bevölkerung ist somit auch nicht durch die kontinuierliche Überwachung und Kontrolle des „Big Brothers“, NSA gewährleistet. Ob in der Vergangenheit bereits mögliche Terroranschläge durch die Maßnahmen der US-Geheimdienste vereitelt worden sind, ist offiziell nicht bekannt.

 

In den USA versucht man derweil die Wogen zu glätten. Gerade die politische Beziehung zwischen Übersee und Deutschland haben durch den Skandal enorm gelitten. Aus diesem Grund will man laut Außenminister John Kerry künftig „doppelt so stark“ auf die Zusammenarbeit mit Europa setzen. Dazu plane er ein Treffen mit der neu formierten Bundesregierung, um das beschädigte Verhältnis zu reparieren. Mit Hilfe einer solchen Zusammenkunft versucht Kerry den Unmut der Europäer zu dämpfen. Die USA geht offensiv mit der Thematik um und versucht diplomatisch zu agieren. Ein solches Verhalten ist auch zwingend notwendig.

 

Grundrechte werden verletzt – Privatsphäre wird zur Herausforderung


Denn der Umfang der besagten Spionage-Affäre nimmt ungeahnte Ausmaße an. Mit Hilfe des sogenannten PRISM-Programms überwacht die NSA elektronische Medien und wertet diese aus. Dieser Fortgang wird als Top-Secret eingestuft. Dennoch konnte Whistleblower Edward Snowden renommierten US-Zeitungen neun der größten Internetkonzerne präsentieren, die offenbar an dem Programm teilnehmen – Google, Facebook und Apple inklusive.

 

In der Folge verletzen die US-amerikanischen Geheimdienste die Grundrechte der freien Meinungsäußerung sowie der frei zugänglichen Information aufs Äußerste. Von Privatpersonen hinterlassene Eingaben bzw. Datensätzen bei den genannten Internetkonzernen werden wohl unmittelbar an die Geheimdienste weitergeleitet. Jedes Subjekt sollte daher seinen Umgang mit den betreffenden Portalen sorgfältig überdenken, sodass keine wichtigen Informationen nach außen gelangen können. Zwar dementieren die Konzerne die Teilnahme an PRISM, doch soll laut Medienberichten mit ihrer Hilfe eine weit umfassende Überwachung von Individuen inner- und außerhalb der USA gewährleistet sein.

 

Gerade aufgrund dieser skandalösen Spionage-Affäre wird die Sicherung der Privatsphäre des einzelnen Individuums im Zeitalter der lückenlosen globalen Kommunikation und Vernetzung immer mehr zu einem wesentlichen Gut sowie zur regelrechten demokratischen Herausforderung. Die Außerachtlassung eben dieser Privatsphäre seitens der NSA kommt einem Tabubruch gleich und führt unmittelbar zu einer sozialen sowie kommerziellen Kontrolle von Persönlichkeiten.

 

Nie war die Macht der Überprüfung einzelner Subjekte daher größer als zur heutigen Zeit. Nicht einmal in der Dekade des zweiten Weltkriegs haben die verantwortlichen Politiker die Privatsphäre der einzelnen Bürger so dermaßen geprellt, wie es momentan der Fall ist. Die revolutionären technischen Gegebenheiten der Gegenwart verleiten nicht nur die NSA, sondern auch immer mehr andere Organisationen zur Auswertung elektronischer Informationen. Eine Kontrolle seitens des einzelnen Bürgers scheint förmlich ausgeschlossen.

 

Eine Reaktion ist gefordert – die USA lenken ein

 

Anders als in George Orwells Roman darf jedoch durchaus Kritik am „Big Brother“ der Gegenwart geäußert werden, ohne dafür eine Strafe befürchten zu müssen. Das Menschen unwürdige Verhalten der NSA darf man nicht tolerieren und muss schon im Keim erstickt bzw. bekämpft werden. Andernfalls wird Orwells Vision aus  „1984“ zur vollständigen Realität. Der USA müssen auf diplomatischem Wege ihre Grenzen aufgezeigt werden. In Zeiten der Kooperationen und Handelsabkommen sind solche „Alleingänge“ einer Nation nicht zu billigen. Eine umfassende Reaktion seitens der Vereinigten Staaten ist nun gefordert. Das Vertrauensverhältnis mit dem Rest der Welt ist arg in Mitleidenschaft gezogen.

 

Derweil stellt Präsident Barack Obama nach der überschäumenden Kritik der Öffentlichkeit mögliche Änderungen an der Überwachungspraxis der NSA in Aussicht. Der „Große Bruder“ scheint einzulenken.

 

Nur Edward Snowden soll weiterhin ausgeliefert werden und in den USA vor Gericht landen. Seine einzige Lebensversicherung gegen eine Festnahme oder einen möglichen Mord ist ein umfangreicher NSA-Datensatz, der aus 50.000 bis 200.000 geheimen Dokumenten bestehen soll. Werden diese veröffentlicht, so befürchten die US-Geheimdienste eine starke Einschränkung ihrer Arbeit.

 

Bleibt zu hoffen, dass es in Zukunft nicht zu einem derartigen Super-GAU kommen wird. Denn prinzipiell ist die Arbeit der NSA gegen Verbrechen und Terror schon zu befürworten. Lediglich die weltweite Kontrolle über jedes menschliche Individuum sollte beigelegt werden und ist nicht zu tolerieren. Der „Big Brother“ sollte seinem Wortursprung gerecht werden und versuchen seine „Familie“ zu beschützen, ohne sie zu hintergehen.

 

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